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Vorsicht bei der Wahl spiritueller Lehrer!

Aus dem Melong (»Spiegel«) Frühjahr 1993

S.H. 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso

Der Melong (»Spiegel«), das offizielle Mitteilungsblatt des Tibetischen Departments für Religion und Kultur berichtete über das Treffen mit westlichen Lehrern mit S.H. dem Dalai Lama 1993 in Dharamsala und ergänzte wie folgt:

So sagte Seine Heiligkeit zu Punkt 5:

»In Indien und Tibet hat es Menschen gegeben, die sich aufgrund der Tiefe ihrer Einsicht scheinbar schamlos verhielten, dies aber für das letztliche Wohl ihrer persönlichen Schüler taten. Es kann also Ausnahmen geben. Heutzutage ist diese Art von Benehmen jedoch äußerst schädlich für den Buddhadharma. Wir müssen damit Schluss machen und diskutieren, wie das möglich ist.

Diese Menschen haben die eigentliche Botschaft des Buddha missachtet, und wenn sie auf freundliche Kritik nicht reagieren, gibt es keinen anderen Ausweg, als ihre Handlungsweise öffentlich zu kritisieren. Die Botschaft des Buddha ist eine gute Sache, aber diese Art von schlechtem Benehmen lässt sich damit nicht vereinbaren. Wie wir sagen: ›Jemand der gefallen ist, kann anderen nicht helfen aufzustehen.‹

Oft ist Alkohol die Ursache des Problems. In der tibetischen Gesellschaft zum Beispiel, die sich buddhistisch nennt, ist es klar, dass Mönche und Nonnen das Gelöbnis haben, nicht zu trinken, weil der Buddha gesagt hat, dass seine Schüler auch nicht einen Tropfen Alkohol trinken sollen. Aber die Laien fühlen sich davon irgendwie ausgenommen.

Lehrer, die sich unangemessen benehmen, legen damit ihre Schamlosigkeit offen. Es ist ihnen egal. Lasst uns unsere Missbilligung aussprechen.«

Weiter merkte Seine Heiligkeit an, das dieses Problem eine Kluft zwischen Verständnis und Praxis und der tatsächlichen Lebensführung darstellt. Er gab den Rat, die Menschen zu ermutigen, bei der Wahl ihrer spirituellen Lehrer sehr vorsichtig zu sein. Man stimmte überein, dass Dharmalehrerinnen und -lehrer eine Ausbildung brauchen und diskutierte mehrere Versuchsmodelle. Darüber hinaus sollten Anwärter für eine Ordination als Mönch oder Nonne die Möglichkeit haben, eine Schulung zu durchlaufen.

Es wurde die Rolle der ordinierten Gemeinschaft bei der Verbreitung des Buddhadharma in Betracht gezogen. Wie es die Ehrw. Tenzin Palmo deutlich zum Ausdruck brachte, treffen sie unweigerlich auf Schwierigkeiten. Der monastische Sangha ist eine Gemeinschaft, deren Leben von Reinheit abhängig ist. Mönche und Nonnen führen ein Leben, das auf den Prinzipien des Dharma beruht, ohne Familie, ohne Sex, ohne Sicherheit, ohne Erwerb. Der Sangha hat dafür eine physische und emotionale Freiheit. Es gibt jedoch moderne Anschauungen, die das Leben des monastischen Sangha als Flucht ansehen, als Zuflucht für diejenigen, die in der Welt versagt haben. Ordinierte verzichten auf die Annehmlichkeiten eines Familienlebens, stehen im Westen aber gleichzeitig einem ungenügendem monastischen Leben gegenüber. Sie fühlen sich einsam und entfremdet. Westliche Laien werden nicht ermutigt, den Sangha zu schätzen – den westlichen Sangha – wogegen in Asien der Sangha immer genährt und geschützt wurde.

Die Rolle der Frau im Buddhismus wurde eindrucksvoll hervorgehoben, als die Versammlung gebeten wurde, sich als Männer zu visualisieren, die ein Dharmazentrum besuchen, in dem es nur weibliche Lehrer gibt, in dem die Buddhastatuen und andere religiöse Bilder nur weibliche Darstellungen zeigen und die Gemeinschaft der Nonnen dominant ist. Die Versammlung wurde eingeladen, nachzuempfinden, wie ausgeschlossen sie sich vielleicht fühlen würde.

Aus: ME-LONG (Frühjahr 1993)